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Lizenz zum Essen [Beitrag #257895] Sa, 26 April 2008 11:30 Zum vorherigen Beitrag gehen
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allo zusammen,

lese gerade aufgrund der unten verlinkten Rezension ein geniales Buch, das meinen eigenen derzeitigen Gedanken sehr entgegen kommt und mir aus dem Herzen spricht. Es geht unter anderem um den "Gesunde-Ernährung-Krampf" und um Sinn, Zweck und Erfolgsaussicht des Einzelnen beim Abnehmen. Es werden sehr interessante wissenschaftliche Studien zitiert, die gegen landläufige Ansichten über Energieverwertung und Co. sprechen. Sehr zu empfehlen, auch die Rezension dazu in der FR.

Gruß, Libelle


http://www.fr-online.de/in_und_ausland/magazin/?em_cnt=13226 12&sid=a8e7777b15b7145f9312dc670665efe6

Und hier nochmal der reine Text, falls der Link irgendwann nicht mehr geht:

Seit ein paar Jahren berichten Ärzte von einem Phänomen, einer Ess-Störung, die zunächst seltsam klingt: Die Betroffenen leiden darunter, sich nur noch bewusst ernähren zu können. Sie kriegen Panikanfälle, wenn sie Bratwurst oder Pommes Frites auch nur riechen, auf ihre Teller kommen ausschließlich Obst, Gemüse, Tofu, Dinkel-Bratlinge. Nahrungsmittel wie Weißmehl, Zucker oder Hackfleisch haben sie völlig aus ihrer Küche verbannt.

Diese Menschen vereinsamen, weil sie niemanden um sich herum ertragen können, der nicht ihre Ideologie teilt. Sie beschäftigen sich tagelang mit Diätplänen, Nahrungstabellen, neuen Erkenntnissen der Forschung, sie blicken voller Hass auf dicke Menschen, die sich offensichtlich ihren Gelüsten hingeben und sich nicht unter Kontrolle haben. Nach der Magersucht (Anorexia nervosa), der Bulimie (Bulimia nervosa) nun also die Orthorexia nervosa, die Krankheit der Vom-Essen-Besessenen. Sie wurde erstmals 1997 von dem amerikanischen Arzt Steve Bratman diagnostiziert, nachdem der sich jahrelang selbst krankhaft kasteit hatte und sich schließlich sogar weigerte, Gemüse zu essen, wenn es nicht höchstens 15 Minuten vor dem Verzehr geerntet worden war.

Für diese Orthoretiker ist Essen nie ein Genuss, sondern stets nur Nahrungsaufnahme, besteht Essen nie aus schmackhaften Zutaten, sondern nur aus Zahlen, Daten, Fakten. Essen ist ihr Mittel, um die Welt in gut und böse, richtig oder falsch einteilen zu können. Essen - das ist ihr Religionsersatz.

Aber diese Fanatiker stehen gar nicht am Rand der Gesellschaft, sondern sie entspringen ihrer Mitte. Sie verkörpern - zugegebenermaßen in extremer Form - was seit Jahren in unserer Überflussgesellschaft Standard ist: Essen darf nicht nur satt machen und soll gut schmecken; nein, Essen ist gesund oder krank machend, lebensverlängernd oder Tod bringend, Bio oder Abfall. Essen ist eine Lebenshaltung geworden. Man ist, was man isst.

Und genau deswegen hat der Heidelberger Arzt und Ernährungsexperte Gunter Frank ein Buch geschrieben, eine fast wütende Abrechnung mit allen Ideologien und Heilsversprechen in einem Land, in dem die zehn Ernährungsregeln der deutschen Gesellschaft für Ernährung von vielen mit den Zehn Geboten gleichgesetzt werden.

"Lizenz zum Essen" (Piper Verlag) ist ein Appell: Der Leser soll sich nicht mehr von wohlmeinenden Ratschlägen aus Büchern, von Diät-Aposteln und sonstigen Experten ein ständig schlechtes Gewissen einreden lassen. Stattdessen soll er wieder eine Fähigkeit erlangen, die den meisten von uns verloren gegangen ist: Das zu essen - und zu genießen -, worauf man am meisten Appetit hat. So wie die meisten Kinder, die im Gegensatz zu Erwachsenen in einer Studie auf die Frage, warum sie essen, was sie essen, mit einem schlichten "Weil es mir schmeckt!" antworteten.

Mediziner Frank selbst nennt als Beispiel Schwangere mit ihren typischen Gelüsten: Befreit vom Zwang, vor allem Salat, Vollkornbrot und ein bisschen Gemüse zu essen, haben diese Frauen plötzlich Heißhunger auf riesige Portionen Sahne-Eis, Schweinebraten mit saftiger Kruste oder Rollmöpse - und folgen ohne schlechtem Gewissen ihrem Verlangen.

Aber wie soll das gehen - sich auf die eigenen Bedürfnisse zu konzentrieren? Darauf zu achten, was einem bekommt, und was nicht, was man wirklich lecker findet und was man eigentlich nur aus Pflichtbewusstsein isst? Frank sagt, er versuche, seine "Patienten immun zu machen gegen das Getöse". Gegen dieses ständige Bombardement der Meldungen, die wie Pfeile treffen: "Deutschlands Männer sind Europameister im Dicksein" - eine Meldung, die im vergangenen Jahr Schlagzeilen machte, aber leider auf einem völlig unseriösen Zahlensalat basierte: "Und ich habe dann ein paar Tage später wieder einen vor mir sitzen, der sich grämt und abnehmen will. Und dann sage ich nur: Sie sind nicht zu dick, Sie sind keine Last für die Gesellschaft." Interessanterweise kam eine amerikanische Studie zu dem Ergebnis: Männer und Frauen die einen Body-Mass-Index (BMI) zwischen 25 und 30 haben, leben in Relation zu Vergleichsgruppen am längsten.

Und überhaupt: Ungesund dick und fett macht in den meisten Fällen nicht das Essen an sich. Wer permanent das Gefühl hat, sich zügeln zu müssen, wer sich permanent schuldig fühlt, wenn er dann doch mal sündigt und zur Schokolade greift - der steht unter permanentem Stress. Er schüttet das Hormon Cortisol aus, das wiederum dazu führt, dass das Bauchfett anwächst. Und wer einen Bauch hat, der wird diskriminiert, weil er nicht den gängigen Vorstellungen eines gesunden und schönen Menschen entspricht.

Vielleicht ist das Interessante an diesem Buch: Dass es uns aufzeigt, wie sehr wir in einem Weltbild verfangen sind, wie sehr es zu einer Manie geworden ist, über das Essen unsere Ängste, Zwänge, Verunsicherungen auszuleben.

Steven Bratman, der selbsternannte Orthoretiker, kam eines Tages von seinem Fanatismus ab, als ihn ein Mitstreiter von einem Traum erzählte, den dieser hatte: "Letzte Nacht hatte ich eine Offenbarung: Statt weiterhin allein an meinen Sprossen zu knabbern, sollte ich lieber mal mit Freunden Pizza essen."

Auf den Titel seines Buches hat Gunter Frank ein Symbol der Sünde, einen echten Dickmacher gehoben, ein schaumiges, weißes Etwas übergossen von dunkler Schokolade, knapp 100 Kilokalorien, 28 Gramm komprimiertes Fett - ein Schokokuss, man sieht, dass jemand hineingebissen hat. Auf der Rückseite ist das ungesunde Süßzeugs fast vollständig verzehrt. Keine Ahnung, wer da so herzhaft zugelangt hat. Aber vermutlich hat es im ganz gut geschmeckt.

Frankfurter Rundschau, abgerufen am 26.04.08

[Aktualisiert am: Sa, 26 April 2008 11:38]

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